Samstag, 17. September 2016

Montenegro hinterlässt in mehrfacher Hinsicht Spuren

Wir setzten unseren Chauffeur vor die Tür und uns wieder in Bewegung, um die Bucht, deren landschaftliche Schönheit wir bisher nur hatten erahnen können, zu umfahren. Die Bucht reicht von der Küste gesehen fast 30km ins Landesinnere und besteht eigentlich aus zwei hintereinander liegenden Buchten, die durch eine bergige Landzunge geteilt werden. Rings um die Bucht erheben sich Bergketten von über 1000m Höhe, aber alle überragt der 1748m hohe Mt. Lovćen, der von den Venezianern „Monte negro“ genannt wurde und dem Staat seinen Namen gab. Aufgrund der strategisch vorteilhaften Lage in der hinteren Bucht, reihen sich die Orte hier dicht an dicht und so mancher davon blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Zunächst passierten wir Risan und abermals stießen wir auf römische Mosaikkunst.


Einige Kilometer weiter liegt dann Perast, dem man seine vergangene Blütezeit noch deutlich ansieht.


Nathan erkletterte den Campanile, dessen Treppenhaus schon bessere Tage gesehen hat und sehr abenteuerlich zu besteigen war, v.a. weil es scheinbar für Menschen unter 1m Körpergröße konzipiert wurde. In Sichtweite liegen zwei kleine mit Klostern bebaute Inseln, auf die man übersetzen kann, was wir aber nicht taten.



Den imposanten Schlusspunkt der Bucht-Umfahrung bildete dann der namensgebende Ort Kotor, von dessen Festung sich ein grandioser Blick über den letzen Teil der Bucht bietet.




Kotor selbst wird täglich aufs Neue von Kreuzfahrtschiffen angefahren, die in der schmalen Bucht fehlplaziert und verloren wirken.
Wir ließen den Tag am Ufer der eben erwähnten Landzunge ausklingen und hatten fast das Gefühl an einem Bergsee in den Schweizer Alpen zu sitzen, schließlich konnten wir den „Ausgang“ der Bucht nicht sehen, waren von Bergen umzingelt und Wellen schwappten nur an Land, wenn ein Schiff vorbei fuhr.
Morgens holten wir die Fahrräder unter der Plane hervor, füllten die Trinkrucksäcke und begannen damit die spektakuläre Panoramastraße oberhalb von Kotor zu erklimmen. In 25 Serpentinen schraubt sich das schmale, kaum für zwei Autobreiten ausreichende Asphaltband spiralförmig in die Höhe, fast wie eine Schlange. Diese entsteht auch sobald ein Mietwagenfahrer die Breite seines Autos nicht kennt oder Angst vor dem Abgrund hat oder sich ein kleinerer Reisebus auf die Strecke begibt.



Immer wieder wurde der Blick in die Tiefe frei und selbst die riesigen Kreuzfahrtschiffe wirkten irgendwann gar nicht mehr so groß.

In der Mitte die Landzunge, die die beiden Buchten teilt; das eigentliche Meer liegt links außerhalb des Bildes

oberhalb der Panoramastraße, aber immernoch mit Meerblick

Immer höher ging es und als wir fast die 1000m-Marke geknackt hatten, verließ die Straße die Küste und wendete sich gen Cetinje. Dahin wollten wir aber (noch) nicht. Uns zog es noch weiter hinauf, auf einen Nebengipfel des Mt. Lovćen, auf dem 1650m über dem Meer ein Mausoleum für Montenegros liebsten Sohn, Petar II. Petrović-Njegoš, errichtet wurde. Dieser gilt als einer der bedeutendsten Dichter serbischer Sprache, war gleichzeitig geistlicher und weltlicher Führer Montenegros, holte den Buchdruck nach Montenegro und, und, und.
Hässlich ist es trotzdem:




Auf der Abfahrt mussten wir dann noch einen kurzen Zwischenstopp einlegen, um diesem kleinen Racker über die Straße zu helfen:






Nachdem wir wieder in Kotor angekommen waren, beschlossen wir schon am gleichen Abend den Schlumpf die eben gefahrene Straße hinaufzuquälen. Er schien die Auffahrt aber fast so zu genießen, wie wir. Dieses Mal fuhren wir aber geradeaus weiter in Richtung Cetinje. Auf einer Anhöhe fanden wir den bisher schönsten Übernachtungsplatz der Tour:






Cetinje war bis 1918 Hauptstadt Montenegros und ist bis heute Sitz des Präsidenten, ist aber im Endeffekt nicht mehr als ein Dorf mit 15.000 Einwohnern, an dessen Rand ein Komplex von historischen Gebäuden und Museen steht. V.a. der oben schon genannte Petar II hat hier einige Spuren und den ersten Billardtisch Montenegros hinterlassen (das ihn beherbergende Gebäude heißt sogar Bilijarda).




Aus der Ruhe der Berge kommend waren wir nicht wirklich mental auf Budva alias Klein-Russland vorbereitet. Budva hat eine wundervolle Altstadt, mit extrem engen Gassen und ist dabei kaum überlaufen. Das liegt daran, dass mit Menschenfleisch gepflasterte Sandstrände mit Sonnenschirmen in allen Farben und Größen, Yachten, Souvenirshops, Fast-Food-Stände und Hotelkomplexe eher den Geschmack des russischen Durchschnittsurlaubers zu treffen scheinen und außerhalb der Festungsmauern liegen. Dekadenz gehört hier zum guten Ton ebenso wie ein Ganzkörper-Sonnenbrand mit zwei Aussparungen, einer unter der Badekleidung und einer unter der Goldkette. 



Die Hotelhochhäuser reichen leider bis an die Altstadt heran. Generell treibt der Bauwahn an Montenegros Küste merkwürdige Blüten. An den unmöglichsten Orten stehen Betonklötze und verschandeln die Landschaft, viel soll hier angeblich über Bestechungen laufen.
Dem Ganzen setzt aber die Halbinsel Sv. Stefan die Krone auf. Hier ist die gesamte Altstadt des einstigen Fischerdorfes zu einem Luxus-Hotel-Komplex umfunktioniert worden, in dem die sogenannten „Schönen und Reichen“ absteigen; Normalsterblichen bleibt der Zutritt verwehrt.
Vermutlich ist der Blick vom Aussichtspunkt eh das Beste daran:



Nur wenige Kilometer weiter südlich kraxelten wir am frühen Abend auf den steinernen Ruinen von Stari Bar herum. 


Die Ruinen der ehemaligen Altstadt am Berg, die der Neustadt am Meer weichen musste, bieten schöne Fotoperspektiven und wären ein idealer Ort für eine Schatzsuche.


Wir fuhren bis an die südlichste Spitze der montenegrinischen Küste, kurz vor der albanischen Grenze. Dort liegt die kleine dreieckige Insel Ada, die vom Delta des Flusses Buna gebildet wird. Die Fischerhütten an diesem Fluss sowie den Strand der Insel fanden wir in wunderbares Abendlicht getüncht vor.


Zum Übernachten fuhren wir dann allerdings doch einige Kilometer in Richtung Norden zurück, um am 13km langen Sandstrand südlich von Ulcinj auf einer Düne zu nächtigen.


Am nächsten Mittag mussten wir dann das erste Mal ins Krankenhaus. Nathan war beim Fotografieren dieser kleinen Fischerhütten bis zum Knie in einem Loch in der Mitte einer Brücke versunken und hatte sich dabei das Schienbein so unglücklich am Metall aufgeschlagen, dass eine Naht unumgänglich war.


Svenja zog es aufgrund der Nähe zum nächsten Krankenhaus und der Tatsache, dass wir kein Lokalanästhetikum mitführen, vor, nicht selber zu nähen. Dass Nathan trotzdem keine Betäubung bekam (außer 2 Ibu von Svenja), steht auf einem anderen Blatt. Die Mitarbeiter im Krankenhaus waren überaus freundlich und zum Abschluss machten wir noch ein Erinnerungsfoto.


Da Nathan humpeln konnte, ging es weiter. Die Altstadt von Ulcinj hatten wir ja schließlich noch nicht gesehen. Auch in Ulcinj hat der Badetourismus die meisten Spuren hinterlassen, der Stadtstrand ist unter den braunen und knallroten Hautmassen kaum zu erkennen.
Die darüber liegende Altstadt ist niedlich, aber nichts Besonderes. 



Tatsächlich interessant an Ulcinj ist die große Zahl an Albanern, die hier lebt und Urlaub macht. Albanisch steht noch vor montenegrinisch auf den Menüs der Restaurants und auch sonst hat man nicht mehr den Eindruck in Europa zu sein, bis man seinen Blick zum Strand wandern lässt.
Nathan bekam – wie ein kleines Kind nach dem Arztbesuch ein Eis bekommt- ein Burek und nun standen wir vor der Frage, was man mit einer frisch genähten Wunde sinnvollerweise machen könne. Wir fanden die einzige passende Antwort: Svenja fährt durch atemberaubende Natur und Nathan vergisst ob der landschaftlichen Schönheit seine Schmerzen. Der Plan ging voll und ganz auf. Nicht weit von Ulcinj liegt nämlich der Shkodra- oder Skutarisee, der größte See des Balkans.



Er hat in etwa die Form eines Delfins und durch ihn verläuft die albanisch-montenegrinische Grenze. Wir näherten uns ihm auf kleinsten Gebirgsstraßen durch das Rumija-Gebirge, das ihn im Süden von der Küste trennt und fuhren dann –immernoch auf schmalster Straße- fast die gesamte Südseite ab und begegneten dabei Kühen, Schafen, Ziegen, Radlern und wenigen Autos. 



Nach geglücktem zentimetergenauen Aneinandervorbei-Manövrieren der Autos winkte man sich freundlich zu oder es wurde auch mal das Fenster heruntergekurbelt (was bei uns auf der Fahrerseite leider nicht mehr funktioniert) und mit dem, meist während Deutschlandaufenthalten gelernten, Vokabular interessiert gefragt, von wo aus Deutschland wir kämen und wohin wir unterwegs seien. Dabei wurden auch mal die neuesten Insider-Tipps zur näheren Umgebung an uns weitergegeben.  



Am Straßenrand waren immer wieder minikleine Verkaufsstände aufgebaut, an denen Honig, Käse und Wein verkauft wurden. Die Einheimischen versuchen mit diesen finanziell etwas ertragreicheren Lebensmitteln durch die wenigen vorbeifahrenden Touristen ihre Geldbörse etwas zu füllen. Wir hielten immer wieder inne und genossen Sonne, See, Berge und Ruhe. Gegen Abend schimmerten die hier ganz und gar notwendigen Leitplanken golden.

Dann erreichten wir den Dreh- und Angelpunkt der Region: Virpazar, kaum mehr als eine Brücke mit ein paar Booten davor. Gut, dass wir an die in Virpazar geschmacklos penetrant präsentierten Köder der Touristenangler (Bootsfahrten, Restaurants, Zimmer) nicht anbissen, denn wir fanden auf einem Pass in der Nähe einen wunderbaren Schlafplatz und bei diesem Blick am nächsten Morgen fiel selbst Nathan das Munterwerden nicht schwer.


Da Nathans Rennrad verletzungsbedingt zunächst auf dem Radträger verblieb, fuhren wir mit dem Schlumpf noch ein wenig entlang des Rijeka Crnojevica, der sich serpentinenartig um die kleinen bewaldeten Felsinseln schlängelt.


und über den im gleichnamigen Ort eine harmonisch geformte kleine Brücke führt. 


Dort genossen wir Cappuccino und Ruhe und beobachteten diese kleinen Kormoranküken auf dem Fluss.



Am frühen Abend fuhren wir noch nach Zabljak Crnojevica- einem kleinen Ort am See, der die besten Jahre lange schon hinter sich hat, für ganz kurze Zeit sogar mal Hauptstadt war. 



Unserem persönlichen Stadtführer gaben wir den Namen Walter und er verdiente sich damit, dass er mit uns bis ganz oben zu den Burgruinen kletterte, einen Butterkeks. 


Die Nacht verbrachten wir auf einem viel zu groß angelegten Hotelparkplatz und starteten am nächsten Morgen früh in Richtung Podgorica. 
Über Podgorica gibt es bestimmt viel Positives zu berichten, aber uns fällt leider nichts ein.
Auf allen Straßen herrscht Chaos und die Parksituation ist so verheerend, dass selbst die Ordnungshüter Svenja ins Halteverbot einwinkten. Da die Stadt mehrfach zerstört wurde –zuletzt 1979 durch ein Erbeben, welches im Übrigen auch die Bucht von Kotor stark getroffen hatte- und erst in neuerer Zeit zur Hauptstadt erkoren wurde, hat sie auch wenig bis nichts zu bieten- Tendenz eher Richtung nichts, es sei denn man findet Freude daran, an immer gleich aussehenden quadratischen Bauten vorbeizulaufen und zu erraten, welches Ministerium oder welche Botschaft sich darin befindet.


Die Hauptsehenswürdigkeit, der Uhrturm
Also ging es zügig weiter, nun in Richtung Nordwesten bis zum in den Fels gebauten Kloster Ostrog.


Im Inneren des Klosters spielten sich skurrile Szenen ab.
Die Pilger standen Schlange vor einem kleinen mit Fresken bemalten Räumchen, dessen Eingang selbst für Svenja zu niedrig war und von den meisten mit Küssen bedacht wird,


um sich einem in Goldbrokat gekleideten orthodoxen Priester in einem Thron nähern zu dürfen, der ihnen gelangweilt und mit gönnerischer Geste ein viel zu großes Holzkreuz entgegenhält, das geküsst zu werden hat. Danach werden die Gläubigen vorgelassen zu einem Sarg in dem unter dem Seidenstoff angeblich die Gebeine des Hl. Basilius liegen sollen. Abermals werden Kniefall und Kuss ausgeführt, ehe dann der strenge Blick des Priesters darüber wacht, dass auch ja Geld in den Spendentopf geworfen wird.
Ein weiteres kleines Räumchen birgt unglaublich filigran gearbeitete Fresken auf absolut unregelmäßigem Untergrund, eine wahrhafte Meisterleistung. Leider war mal wieder das Fotografieren strengstens untersagt und wurde auch (in den Innenräumen) aktiv verhindert.

Die weitere Strecke zum Durmitor Nationalpark bzw. dessen Hauptort Žabljak war geprägt von umwerfenden Landschaftseindrücken und einer stetig ansteigenden Straße.
Gestern wurde der fest eingeplante Ruhetag vom Wetter(bericht) kurzerhand gestrichen. Zu gut war das Wetter und zu schlecht soll es in den nächsten Tagen werden. Also fuhren wir spontan erst einen von Svenja herausgesuchten Aussichtspunkt 

Suchbild: Wer findet Svenja?
und dann eine ursprünglich von Nathan als Fahrradroute ausgefressene Route mit dem Schlumpf an bzw. ab. Dabei ging es über die beiden höchsten asphaltierten und vermutlich auch schönsten Pässe Montenegros. Vor allem der Durmitor Sedlo übertraf die ohnehin hochgesteckten Erwartungen deutlich. 


Fast völlige Abgeschiedenheit, immer wieder neue, wunderbare Blicke nach allen Richtungen und bessere Straßenverhältnisse als befürchtet, machten die Rundtour unvergesslich.


Mitten im Anstieg fanden wir diesen Basketballkorb am Rande des Weges und kaum hatten wir einen Fotostopp eingelegt, kam ein Junge mit dem passenden, vom Geröll abgewetzten Ball dazu:


Zum Abschluss noch ein kleines Video von der Fahrt:



Nathans Schienbein geht es erheblich besser, er konnte gestern und heute (jeweils in Abendtouren) die beiden höchsten Pässe Montenegros auch noch mit dem Rad ein zweites Mal genießen ohne allzu große Schmerzen dabei zu haben. Die Wunde ist reizlos und trocken ;) Heute haben wir den Regen Blog schreibend und planend abgewartet und sind am Nachmittag bei bewölktem Himmel mit gelegentlichem Sonnenschein aufgebrochen zur Đurđevića-Tara-Brücke, die in 150m Höhe die Taraschlucht überspannt.


Die Schlucht wird aber mittlerweile nicht nur von der Brücke und einem Stromkabel, sondern zusätzlich noch von etlichen Adrenalin-Kick versprechenden und beim Fotografieren störenden Zip-Lines überspannt.


Für Nathan war das Aufpassen auf Svenja, die bei schmalstem Gehsteig (ca. 30 cm breit), hippelig wie sie ist, zweimal mit dem Fuß den Bürgersteig verfehlte, aufregend genug- zumal Nathan ja ein wenig „brückengeschädigt“ ist. Auf und neben der Brücke herrscht stetes Treiben, Souvenirs, domestic food, Pivo (Bier), Zip-Line, Rafting und Camps werden zu Hauf angepriesen. 
Nathan schwang sich wie schon erwähnt aufs Rad und erklomm von der Brücke aus (wie immer vom Fuße des Berges aus) den Durmitor Sedlo, während Svenja den Schlumpf mit Leckereien füllte, diesen zum Campingplatz zurück brachte und von dort aus zum Crno Jezero wanderte, nachdem sie sich am Tag zuvor genauestens über die Route informiert hatte, fand sie auf dem Weg ungezählte unbekannte und bekannt giftige Pilze und nach 25 Minuten auch den See. 


Morgen soll es dann weitergehen in Richtung Nordost-Montenegro und Kosovo.

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