Viele Grüße aus dem regnerischen Sarajevo!
Heute nehmen wir uns einen langersehnten und dringend
benötigten Ruhetag. Die letzten Tage waren extrem intensiv, mit Höhen und
Tiefen und nicht alles war leicht zu verarbeiten. Doch fangen wir vorne an:
Mit Kalenic und Ljubostinja standen zunächst 2 weitere orthodoxe
Kirchen auf dem Programm, ehe es nach Niš weiter ging.
Ljubostinja mit dem obligatorischen Fotos-Verboten-Schild |
Niš ist vor allem für seinen Schädelturm bekannt, der nach einer gescheiterten serbischen Revolte 1809 von den siegreichen Osmanen errichtet wurde. In ihm wurden die Schädel von fast 1000 gefallenen Serben eingemauert; heute sind davon noch etwa 50 erhalten.
Zunächst jedoch flanierten wir durch die alte Festung, die
heutzutage als Park genutzt wird.
Ein kleines Stück weiter liegt zwischen verfallenen Häusern
und meterhohem Gras das gut gepflegte Gelände des ehemaligen KZs „Rotes Kreuz“,
welches die im 2. Weltkrieg hier verübten Gräueltaten erahnen lässt.
Eine freundliche Mitarbeiterin erzählte uns die traurige
Geschichte von einem organisierten Fluchtversuch am 12.2.1942, bei dem 15
Insassen die Flucht gelang, 42 jedoch ihr Leben lassen mussten, von den
grausamen Haftbedingungen und dass man die Zahl der hier Ermordeten auf über
10.000 schätzt.
Die folgende römische Ausgrabungsstätte Mediana mit hervorragenden Mosaiken etwas
außerhalb der Stadt erreichten wir mit einem immer noch mulmigen Gefühl.
Der Glaube an das Gute im Menschen kehrte auf der
Schlafplatzsuche zurück. Die Geschichte folgt sogleich, doch vorher noch ein
paar allgemeine Worte zu Serbien, die hoffentlich an dieser Stelle sinnvoll aufgehoben
sind.
Allzu viel haben wir vom serbischen Volk im Bezug auf Gastfreundschaft
und Warmherzigkeit nicht erwartet. Vielmehr schwirrten in unseren Köpfen
Vorstellungen von einem militärisch geprägten Land mit kurz angebundenen, abweisenden
Menschen umher.
Zu viele Geschichten hatten wir von Überfällen und
Diebstählen gehört, von mürrischen Gesetzeshütern, die auf Banalitäten
beharren, von stundenlangen peniblen Durchsuchungen an der Grenze. Zu sehr
waren wir verunsichert von der –vermutlich nur auf dem Papier bestehenden-
Pflicht sich alle 24 Stunden bei der lokalen Polizei zu melden oder zumindest
zu veranlassen, dass dies vom Campingplatz oder Hotel erledigt wird. Wir
besuchten dieses Land trotzdem, wir wollten uns ein eigenes Bild machen von
dieser „unsicheren Gegend“.
Skeptisch reisten wir also ein und wurden unglaublich positiv
überrascht. Wohin wir kamen, wir wurden herzlich begrüßt, wer immer auch nur in
der Lage war, 2-3 Worte deutsch zu sprechen, präsentierte uns diese mit einem
Lächeln auf dem Gesicht und war selbst erfreut ein paar wenige serbische Phrasen
als Antwort zu bekommen.
Den Gipfel der Gastfreundschaft erlebten wir aber –und nun
kommen wir zur Geschichte mit dem Schlafplatz zurück- in Stanisinci, einem
kleinen Dorf im Nirgendwo des serbischen Goč-Gebirges in dem wir nur
vorbeikamen, weil in unserer Straßenkarte ein nicht existierender Campingplatz
an dieser Stelle eingezeichnet war.
Es dunkelte schon lange und die Müdigkeit hatte Besitz von
uns ergriffen, als Svenja ausstieg, um nach dem –wie erwähnt nicht
existierenden- Campingplatz zu fragen. Was Nathan im Schlumpf nicht wusste,
aber bald darauf erfuhr, war, dass Svenja eine kleine Kindermärchenwelt
betreten hatte, in der die Ängste verflogen und ihr Herz sich öffnete. Sie
fühlte sich (auch als Erwachsene) herzlich willkommen- die Dame an der
Rezeption sprach einige Worte Englisch und konnte eines von Svenjas
Bedürfnissen erkennen- eine Toilette. Alsbald tauchte ein einquartierter
Skilehrer auf, der fortan übersetzte und als er gerade dabei war Svenja die
Campingoptionen der etwas weiteren Region zu erläutern, durchkreuzte Rale, der „Direktor
ohne Schlips und Kragen“ die Pläne. Rale wollte nicht, dass wir im Auto
übernachten, schließlich gab es freie Zimmer mit Betten. Wir wurden in einer
total herzlichen Art und Weise, von der ganzen Schar begleitet, zu unserem
Domizil (einem großen Zimmer mit drei Betten), geleitet und auch der Schlumpf bekam eine Eskorte in den Hinterhof. Aber damit noch lange
nicht genug- wurden wir auch noch zum Olympia schauen eingeladen- Premiere für
uns. Jetzt wussten wir, warum laute Jubelschreie uns kurz zuvor bei unserer
Ankunft „begrüßt“ hatten- die serbischen Volleyballerinnen hatten das Finale
erreicht. Wir erfuhren, dass wir in einer Art Kinder-/Jugendherberge seien und
momentan eine Gruppe Judoka von Partizan Belgrad dort ihr Trainingslager
absolvierte. Mit den kleinen „Knirpsen“, einer Doppelgängerin von Pandora (der
Katze von Nathans Eltern) und dem Kellner relaxten wir auf der Olympiacouch.
Die meisten Jugendlichen sprachen im Gegensatz zu Rale gut und gerne englisch
und fragten uns Löcher in den Bauch über unsere Reise, Deutschlands Landschaft
und Sport. Hundemüde fielen wir ins Bett (!), obwohl das –mit Spannung
verfolgte- Wasserballhalbfinale zwischen Serbien und Italien noch lief. Mit
einem gemeinsamen serbischen Kaffee starteten wir den Tag und wir versuchten
ein wenig zu plaudern. Das gestaltete sich recht schwierig, da unser serbisch
um Längen besser war als Rales englisch, zugegebenermaßen aber auch dank eines
Übersetzungsprogramms auf dem Smartphone. Aber der Mensch hat ja nun mal Gestik
und Mimik und dann wurde seine Tochter Maja mal eben per Telefonkonferenz aus
Belgrad zugeschaltet, um uns mitzuteilen, dass wir gerne noch einige Nächte
bleiben dürften, natürlich seien wir eingeladen. Wir lehnten dankend ab, vermutlich
wären wir dort sonst versackt. Es folgte ein riesenhaftes Zwergenfrühstück mit
allen Finessen, die man sich nur vorstellen kann- nein- dass dem Ganzen noch
ein Dessert (Tulumba und Prinzessinnenwindbeutel) folgen sollte, hatten wir
wirklich nicht auf der Rechnung. Wir tauschten Adressen und knipsten im
Märchenpark ein paar Fotos.
Rale ist der Brösel-Doppelgänger in der hinteren Reihe |
Und da wir Rale unsere Blog-Adresse gegeben haben, hier noch ein wenig
kyrillisch:
ЈОШ ЈЕДНОМ ХВАЛА ПУНО ЗА ГОСТОПРИМСТВО !!!
Am späten Vormittag verließen wir die kleine Oase überglücklich und mit vollen Bäuchen, um in die Realität zurückzukehren und auf den serbischen Bergstraßen weiterzureisen- nach Studenica.
Studenica gehört mit Sicherheit zu den schönsten und bedeutendsten
orthodoxen Kirchen des Balkans- leider darf man in allen orthodoxen Kirchen,
die wir bis jetzt besucht haben, nicht fotografieren. Wer uns kennt, weiß dass
wir so etwas sehr ernst nehmen…;)
Wir legten einen weiteren Halt beim Kloster Gradac ein und gelangten
schließlich nach Novi Pazar, vor dessen ausgedehnter Innenstadt 2 weitere
freskenverzierte Gotteshäuser lockten.
Vor einem davon übernachteten wir mit wunderbarem Blick ins Tal auf dem eigentlich für Reisebusse angelegten Parkplatz und fuhren am nächsten Morgen in die türkisch-muslimisch geprägte Innenstadt, um wenigstens ein wenig orientalisches Flair auf dieser Reise mitzubekommen.
Danach erreichten wir mit Sopoćani ein weiteres Freskenhighlight.
Anschließend folgten wir auf unmöglichsten Straßen, die mit einer 2km langen
steil auf- und abführenden schlaglöchrigen Schotterpiste ihren Höhepunkt
erreichten, dem Ruf des Flusses Uvac, von dem wir ein wunderbares Bild mit
einem Geier vor grün schimmernden Flussschleifen gesehen hatten. Eine
Fotomontage, was sonst? Aber wenigstens die Flussschleifen wollten wir sehen,
was wir nach knapp über einer Stunde Wanderung dann auch taten:
Abenteuer-Schlumpf grüßt Sie im Auftrag von Schlumpf-Tours |
Als wir dann unser Picknick ausgepackt hatten, kam zu unserem Erstaunen
auch schon der erste Geier vorbeigeflogen. Wenig später kreisten 30-40
Gänsegeier über unseren Köpfen.
Wir redeten uns gegenseitig Mut zu, dass wir so
schlimm noch nicht aussähen und sie vermutlich nicht unseretwegen unterwegs
seien, genossen den Moment und begaben uns, um noch vor der Dunkelheit am Schlumpf
anzukommen, auf den Rückweg.
Eben jener Schlumpf verdiente sich auf den 2 km zurück über die Schotterpiste
ein großes Lob, schaffte das steilste Stück entgegen Svenjas Erwartungen anstandslos
und ließ sich dabei über Minuten den 1. Gang gefallen. Zur Belohnung wurde er
abends ausgiebig geputzt.
Der von uns angesteuerte Campingplatz stellte sich als Garten eines Einfamilienhauses
heraus.
Bad und Küche teilten wir uns mit der Familie. Camping mal anders…
Und dann folgte die vorerst letzte Kirche, deren Fresken wir uns
anschauten: Mileševa, berühmt für sein Engelfresko, das es in fast jeder Kirche
in Serbien auch als Poster zu kaufen gibt.
Wir kauften keins und fuhren von der
Freundlichkeit der Serben ermutigt kurz nach Bosnien-Herzegowina (wir wollten
das Grenz-Hopping ursprünglich eigentlich vermeiden und dafür auch Umwege in
Kauf nehmen). Die serbischen Grenzer ließen uns aus reinem Interesse den Kofferraum
öffnen, freuten sich über Froggy, unseren Plüschfrosch und wollten natürlich
keine Nachweise darüber wann wir wo gewesen waren. Auf der bosnischen Seite fragte
uns der Grenzer dann mit grimmigem Gesichtsausdruck: „Što ima?“ Wir verstanden
es nicht, aber er insistierte, immer wieder die gleiche Frage. Schließlich lockerten
sich seine Gesichtszüge und er erklärte uns lachend, dass dies soviel heiße wie
„was geht?“. Danach fragte er nach dem
weiteren Weg und erklärte uns wie wir zu fahren hätten.
Soviel zu den gefürchteten Grenzkontrollen.
In Bosnien-Herzegowina statteten wir der Drina-Brücke in Višegrad einen
Besuch ab, die Ivo Andrić zu seinem bekanntesten Werk inspirierte.
Zurück in Serbien wollten wir auf einem kleinen ruhigen Campingplatz in
Kremna, am Rande des Tara-Nationalparks den Tag entspannt ausklingen lassen. Unser
Skype-Gespräch mit Nathans Eltern wurde jäh durch einen Knall und ein sich in
unserem Sichtfeld auf der ca. 200m entfernten Straße überschlagendes Auto
unterbrochen. Wir eilten zur Unfallstelle und stellten erleichtert fest, dass
sich schon etliche Helfer vor Ort befanden und beide Insassen des Unfallwagens
ansprechbar und zumindest äußerlich nur mit Schürfwunden davongekommen waren. Bis
der Rettungswagen kam, vergingen allerdings 30 Minuten, in Deutschland unvorstellbar.
Bis die Straße geräumt war, verging erheblich mehr Zeit, weswegen sich ganze Blechlawinen
über die neben der Straße verlaufenden Feldwege wälzten.
Da das Wetter sich deutlich verschlechterte und auch keine Besserung in
Sicht war, beschlossen wir, den Tara-Nationalpark zu verlassen und
Serbien endgültig zu verlassen. Das bedeutet für uns, dass wir uns einer der 4 Währungen entledigen konnten und damit das Umrechnungs-Chaos etwas minimiert haben.
Morgens knipsten wir noch dieses Überbleibsel des vergangenen
Tages:
Mit einer Extraportion Vorsicht ging es weiter, über eine kleine Brücke
ging es nach Bosnien-Herzegowina und da uns diesmal der Grenzbeamte nicht von
allein den Weg erklärte, mussten wir ihn fragen.
Hier ein kleines Video von der Fahrt, wir hoffen dass man den
Straßenzustand erahnen kann, es fehlen allerdings Kühe, attackierende Hunde,
Schafe, Spaziergänger und vor allem gefährliche Überholmanöver.
Vermutlich sind
die schlechten Straßen im Endeffekt die sichereren.
Genau diese Straße führte uns nach Srebrenica.
Srebrenica war der Ort des größten Massakers des Bosnien-Krieges, dem
zahlenmäßig größten Kriegsverbrechen Europas seit dem 2.Weltkrieg. 8372 Opfer
besagt ein Stein am Eingang der Gedenkstätte, ganz genau wird man es aber wohl nie
wissen. Für jedes identifizierte Opfer steht hier ein weißer Grabstein mit
Namen und Geburtsjahr, das macht das Grauen greifbarer; es sind zu viele, um
sie alle gleichzeitig zu überblicken.
Das Ganze fand vor gerade einmal 21 Jahren statt, die jüngsten Opfer
waren Jahrgang 1980, nicht viel älter als wir selbst.
Obwohl man krampfhaft versucht, der Stadt ein anderes, ein freundlicheres Image zu geben, so atmet sie doch nach wie vor mit jeder Faser ihre tragische Geschichte. Sie wirkte fast genauso bedrückend wie die Gedenkstätte an sich.
Nachdenklich fuhren wir weiter in Richtung Sarajevo. Auf einem Pass etwa
30-40km vor der Hauptstadt übernachteten wir und setzten uns heute Morgen früh wieder in
Bewegung, um wenige km vor Sarajevo an der nächsten Unfallstelle einzutreffen. Diesmal
kamen wir allerdings wohl direkt nach dem Unfall –von dem wir nichts hörten- an
und Nathan musste mithelfen einen bewusstlosen Mann vom Rücksitz zu bergen, der
glücklicherweise kurz darauf die Augen wieder öffnete. Auch hier wohl Glück im
Unglück. Dieses Mal traf der Rettungsdienst schon nach 10 Minuten ein, Sarajevo
war ja auch nicht weit.
Bemerkenswert scheint uns vor allem die Tatsache zu sein, dass alle
Ersthelfer ziemlich genau wissen, was sie da tun: stabile Seitenlage, Kontrolle,
dass die Zunge nicht die Atemwege verlegt, Atemkontrolle, Pupillencheck, Fragen
nach Schwindel und Doppelbildern, Decken (wenn vorhanden), Flüssigkeitszufuhr-
an alles wird gedacht, es scheint Routine zu sein, nur das
Gefahrenstelle-Sichern bleibt dann den (dummen) Deutschen überlassen…
Wir jedenfalls sind froh, den Wagen 1-2 Tage nicht bewegen zu müssen und
klopfen auf Holz, dass wir auch weiterhin so sicher von A nach B kommen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen