Dienstag, 23. August 2016

Leben mit dem Tod

Viele Grüße aus dem regnerischen Sarajevo!
Heute nehmen wir uns einen langersehnten und dringend benötigten Ruhetag. Die letzten Tage waren extrem intensiv, mit Höhen und Tiefen und nicht alles war leicht zu verarbeiten. Doch fangen wir vorne an:
Mit Kalenic und Ljubostinja standen zunächst 2 weitere orthodoxe Kirchen auf dem Programm, ehe es nach Niš weiter ging.

Ljubostinja mit dem obligatorischen Fotos-Verboten-Schild

Niš ist vor allem für seinen Schädelturm bekannt, der nach einer gescheiterten serbischen Revolte 1809 von den siegreichen Osmanen errichtet wurde. In ihm wurden die Schädel von fast 1000 gefallenen Serben eingemauert; heute sind davon noch etwa 50 erhalten.


Zunächst jedoch flanierten wir durch die alte Festung, die heutzutage als Park genutzt wird.
Ein kleines Stück weiter liegt zwischen verfallenen Häusern und meterhohem Gras das gut gepflegte Gelände des ehemaligen KZs „Rotes Kreuz“, welches die im 2. Weltkrieg hier verübten Gräueltaten erahnen lässt.
Eine freundliche Mitarbeiterin erzählte uns die traurige Geschichte von einem organisierten Fluchtversuch am 12.2.1942, bei dem 15 Insassen die Flucht gelang, 42 jedoch ihr Leben lassen mussten, von den grausamen Haftbedingungen und dass man die Zahl der hier Ermordeten auf über 10.000 schätzt.


Die folgende römische Ausgrabungsstätte Mediana mit hervorragenden Mosaiken etwas außerhalb der Stadt erreichten wir mit einem immer noch mulmigen Gefühl.


Der Glaube an das Gute im Menschen kehrte auf der Schlafplatzsuche zurück. Die Geschichte folgt sogleich, doch vorher noch ein paar allgemeine Worte zu Serbien, die hoffentlich an dieser Stelle sinnvoll aufgehoben sind.
Allzu viel haben wir vom serbischen Volk im Bezug auf Gastfreundschaft und Warmherzigkeit nicht erwartet. Vielmehr schwirrten in unseren Köpfen Vorstellungen von einem militärisch geprägten Land mit kurz angebundenen, abweisenden Menschen umher.
Zu viele Geschichten hatten wir von Überfällen und Diebstählen gehört, von mürrischen Gesetzeshütern, die auf Banalitäten beharren, von stundenlangen peniblen Durchsuchungen an der Grenze. Zu sehr waren wir verunsichert von der –vermutlich nur auf dem Papier bestehenden- Pflicht sich alle 24 Stunden bei der lokalen Polizei zu melden oder zumindest zu veranlassen, dass dies vom Campingplatz oder Hotel erledigt wird. Wir besuchten dieses Land trotzdem, wir wollten uns ein eigenes Bild machen von dieser „unsicheren Gegend“.
Skeptisch reisten wir also ein und wurden unglaublich positiv überrascht. Wohin wir kamen, wir wurden herzlich begrüßt, wer immer auch nur in der Lage war, 2-3 Worte deutsch zu sprechen, präsentierte uns diese mit einem Lächeln auf dem Gesicht und war selbst erfreut ein paar wenige serbische Phrasen als Antwort zu bekommen.
Den Gipfel der Gastfreundschaft erlebten wir aber –und nun kommen wir zur Geschichte mit dem Schlafplatz zurück- in Stanisinci, einem kleinen Dorf im Nirgendwo des serbischen Goč-Gebirges in dem wir nur vorbeikamen, weil in unserer Straßenkarte ein nicht existierender Campingplatz an dieser Stelle eingezeichnet war.
Es dunkelte schon lange und die Müdigkeit hatte Besitz von uns ergriffen, als Svenja ausstieg, um nach dem –wie erwähnt nicht existierenden- Campingplatz zu fragen. Was Nathan im Schlumpf nicht wusste, aber bald darauf erfuhr, war, dass Svenja eine kleine Kindermärchenwelt betreten hatte, in der die Ängste verflogen und ihr Herz sich öffnete. Sie fühlte sich (auch als Erwachsene) herzlich willkommen- die Dame an der Rezeption sprach einige Worte Englisch und konnte eines von Svenjas Bedürfnissen erkennen- eine Toilette. Alsbald tauchte ein einquartierter Skilehrer auf, der fortan übersetzte und als er gerade dabei war Svenja die Campingoptionen der etwas weiteren Region zu erläutern, durchkreuzte Rale, der „Direktor ohne Schlips und Kragen“ die Pläne. Rale wollte nicht, dass wir im Auto übernachten, schließlich gab es freie Zimmer mit Betten. Wir wurden in einer total herzlichen Art und Weise, von der ganzen Schar begleitet, zu unserem Domizil (einem großen Zimmer mit drei Betten), geleitet und auch der Schlumpf bekam eine Eskorte in den Hinterhof.  Aber damit noch lange nicht genug- wurden wir auch noch zum Olympia schauen eingeladen- Premiere für uns. Jetzt wussten wir, warum laute Jubelschreie uns kurz zuvor bei unserer Ankunft „begrüßt“ hatten- die serbischen Volleyballerinnen hatten das Finale erreicht. Wir erfuhren, dass wir in einer Art Kinder-/Jugendherberge seien und momentan eine Gruppe Judoka von Partizan Belgrad dort ihr Trainingslager absolvierte. Mit den kleinen „Knirpsen“, einer Doppelgängerin von Pandora (der Katze von Nathans Eltern) und dem Kellner relaxten wir auf der Olympiacouch. Die meisten Jugendlichen sprachen im Gegensatz zu Rale gut und gerne englisch und fragten uns Löcher in den Bauch über unsere Reise, Deutschlands Landschaft und Sport. Hundemüde fielen wir ins Bett (!), obwohl das –mit Spannung verfolgte- Wasserballhalbfinale zwischen Serbien und Italien noch lief. Mit einem gemeinsamen serbischen Kaffee starteten wir den Tag und wir versuchten ein wenig zu plaudern. Das gestaltete sich recht schwierig, da unser serbisch um Längen besser war als Rales englisch, zugegebenermaßen aber auch dank eines Übersetzungsprogramms auf dem Smartphone. Aber der Mensch hat ja nun mal Gestik und Mimik und dann wurde seine Tochter Maja mal eben per Telefonkonferenz aus Belgrad zugeschaltet, um uns mitzuteilen, dass wir gerne noch einige Nächte bleiben dürften, natürlich seien wir eingeladen. Wir lehnten dankend ab, vermutlich wären wir dort sonst versackt. Es folgte ein riesenhaftes Zwergenfrühstück mit allen Finessen, die man sich nur vorstellen kann- nein- dass dem Ganzen noch ein Dessert (Tulumba und Prinzessinnenwindbeutel) folgen sollte, hatten wir wirklich nicht auf der Rechnung. Wir tauschten Adressen und knipsten im Märchenpark ein paar Fotos.


Rale ist der Brösel-Doppelgänger in der hinteren Reihe


Und da wir Rale unsere Blog-Adresse gegeben haben, hier noch ein wenig kyrillisch:
ЈОШ ЈЕДНОМ ХВАЛА ПУНО ЗА ГОСТОПРИМСТВО !!!

Am späten Vormittag verließen wir die kleine Oase überglücklich und mit vollen Bäuchen, um in die Realität zurückzukehren und auf den serbischen Bergstraßen weiterzureisen- nach Studenica.
Studenica gehört mit Sicherheit zu den schönsten und bedeutendsten orthodoxen Kirchen des Balkans- leider darf man in allen orthodoxen Kirchen, die wir bis jetzt besucht haben, nicht fotografieren. Wer uns kennt, weiß dass wir so etwas sehr ernst nehmen…;)


Wir legten einen weiteren Halt beim Kloster Gradac ein und gelangten schließlich nach Novi Pazar, vor dessen ausgedehnter Innenstadt 2 weitere freskenverzierte Gotteshäuser lockten. 


Vor einem davon übernachteten wir mit wunderbarem Blick ins Tal auf dem eigentlich für Reisebusse angelegten Parkplatz und fuhren am nächsten Morgen in die türkisch-muslimisch geprägte Innenstadt, um wenigstens ein wenig orientalisches Flair auf dieser Reise mitzubekommen.
Danach erreichten wir mit Sopoćani ein weiteres Freskenhighlight.


Anschließend folgten wir auf unmöglichsten Straßen, die mit einer 2km langen steil auf- und abführenden schlaglöchrigen Schotterpiste ihren Höhepunkt erreichten, dem Ruf des Flusses Uvac, von dem wir ein wunderbares Bild mit einem Geier vor grün schimmernden Flussschleifen gesehen hatten. Eine Fotomontage, was sonst? Aber wenigstens die Flussschleifen wollten wir sehen, was wir nach knapp über einer Stunde Wanderung dann auch taten:


Abenteuer-Schlumpf grüßt Sie im Auftrag von Schlumpf-Tours
Als wir dann unser Picknick ausgepackt hatten, kam zu unserem Erstaunen auch schon der erste Geier vorbeigeflogen. Wenig später kreisten 30-40 Gänsegeier über unseren Köpfen. 



Wir redeten uns gegenseitig Mut zu, dass wir so schlimm noch nicht aussähen und sie vermutlich nicht unseretwegen unterwegs seien, genossen den Moment und begaben uns, um noch vor der Dunkelheit am Schlumpf anzukommen, auf den Rückweg.
Eben jener Schlumpf verdiente sich auf den 2 km zurück über die Schotterpiste ein großes Lob, schaffte das steilste Stück entgegen Svenjas Erwartungen anstandslos und ließ sich dabei über Minuten den 1. Gang gefallen. Zur Belohnung wurde er abends ausgiebig geputzt.
Der von uns angesteuerte Campingplatz stellte sich als Garten eines Einfamilienhauses heraus. 
Bad und Küche teilten wir uns mit der Familie. Camping mal anders…
Und dann folgte die vorerst letzte Kirche, deren Fresken wir uns anschauten: Mileševa, berühmt für sein Engelfresko, das es in fast jeder Kirche in Serbien auch als Poster zu kaufen gibt. 


Wir kauften keins und fuhren von der Freundlichkeit der Serben ermutigt kurz nach Bosnien-Herzegowina (wir wollten das Grenz-Hopping ursprünglich eigentlich vermeiden und dafür auch Umwege in Kauf nehmen). Die serbischen Grenzer ließen uns aus reinem Interesse den Kofferraum öffnen, freuten sich über Froggy, unseren Plüschfrosch und wollten natürlich keine Nachweise darüber wann wir wo gewesen waren. Auf der bosnischen Seite fragte uns der Grenzer dann mit grimmigem Gesichtsausdruck: „Što ima?“ Wir verstanden es nicht, aber er insistierte, immer wieder die gleiche Frage. Schließlich lockerten sich seine Gesichtszüge und er erklärte uns lachend, dass dies soviel heiße wie „was geht?“.  Danach fragte er nach dem weiteren Weg und erklärte uns wie wir zu fahren hätten.
Soviel zu den gefürchteten Grenzkontrollen.
In Bosnien-Herzegowina statteten wir der Drina-Brücke in Višegrad einen Besuch ab, die Ivo Andrić zu seinem bekanntesten Werk inspirierte.


Zurück in Serbien wollten wir auf einem kleinen ruhigen Campingplatz in Kremna, am Rande des Tara-Nationalparks den Tag entspannt ausklingen lassen. Unser Skype-Gespräch mit Nathans Eltern wurde jäh durch einen Knall und ein sich in unserem Sichtfeld auf der ca. 200m entfernten Straße überschlagendes Auto unterbrochen. Wir eilten zur Unfallstelle und stellten erleichtert fest, dass sich schon etliche Helfer vor Ort befanden und beide Insassen des Unfallwagens ansprechbar und zumindest äußerlich nur mit Schürfwunden davongekommen waren. Bis der Rettungswagen kam, vergingen allerdings 30 Minuten, in Deutschland unvorstellbar. Bis die Straße geräumt war, verging erheblich mehr Zeit, weswegen sich ganze Blechlawinen über die neben der Straße verlaufenden Feldwege wälzten.
Da das Wetter sich deutlich verschlechterte und auch keine Besserung in Sicht war, beschlossen wir, den Tara-Nationalpark zu verlassen und Serbien endgültig zu verlassen. Das bedeutet für uns, dass wir uns einer der 4 Währungen entledigen konnten und damit das Umrechnungs-Chaos etwas minimiert haben.


Morgens knipsten wir noch dieses Überbleibsel des vergangenen Tages:


Mit einer Extraportion Vorsicht ging es weiter, über eine kleine Brücke ging es nach Bosnien-Herzegowina und da uns diesmal der Grenzbeamte nicht von allein den Weg erklärte, mussten wir ihn fragen.
Hier ein kleines Video von der Fahrt, wir hoffen dass man den Straßenzustand erahnen kann, es fehlen allerdings Kühe, attackierende Hunde, Schafe, Spaziergänger und vor allem gefährliche Überholmanöver. 

das Video wird aufgrund technischer Probleme nachgereicht

Vermutlich sind die schlechten Straßen im Endeffekt die sichereren.
Genau diese Straße führte uns nach Srebrenica.

Srebrenica war der Ort des größten Massakers des Bosnien-Krieges, dem zahlenmäßig größten Kriegsverbrechen Europas seit dem 2.Weltkrieg. 8372 Opfer besagt ein Stein am Eingang der Gedenkstätte, ganz genau wird man es aber wohl nie wissen. Für jedes identifizierte Opfer steht hier ein weißer Grabstein mit Namen und Geburtsjahr, das macht das Grauen greifbarer; es sind zu viele, um sie alle gleichzeitig zu überblicken.


Das Ganze fand vor gerade einmal 21 Jahren statt, die jüngsten Opfer waren Jahrgang 1980, nicht viel älter als wir selbst.
Obwohl man krampfhaft versucht, der Stadt ein anderes, ein freundlicheres Image zu geben, so atmet sie doch nach wie vor mit jeder Faser ihre tragische Geschichte. Sie wirkte fast genauso bedrückend wie die Gedenkstätte an sich.

Nachdenklich fuhren wir weiter in Richtung Sarajevo. Auf einem Pass etwa 30-40km vor der Hauptstadt übernachteten wir und setzten uns heute Morgen früh wieder in Bewegung, um wenige km vor Sarajevo an der nächsten Unfallstelle einzutreffen. Diesmal kamen wir allerdings wohl direkt nach dem Unfall –von dem wir nichts hörten- an und Nathan musste mithelfen einen bewusstlosen Mann vom Rücksitz zu bergen, der glücklicherweise kurz darauf die Augen wieder öffnete. Auch hier wohl Glück im Unglück. Dieses Mal traf der Rettungsdienst schon nach 10 Minuten ein, Sarajevo war ja auch nicht weit.
Bemerkenswert scheint uns vor allem die Tatsache zu sein, dass alle Ersthelfer ziemlich genau wissen, was sie da tun: stabile Seitenlage, Kontrolle, dass die Zunge nicht die Atemwege verlegt, Atemkontrolle, Pupillencheck, Fragen nach Schwindel und Doppelbildern, Decken (wenn vorhanden), Flüssigkeitszufuhr- an alles wird gedacht, es scheint Routine zu sein, nur das Gefahrenstelle-Sichern bleibt dann den (dummen) Deutschen überlassen…

Wir jedenfalls sind froh, den Wagen 1-2 Tage nicht bewegen zu müssen und klopfen auf Holz, dass wir auch weiterhin so sicher von A nach B kommen.

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